Bemerkungen
zur Malerei von Karl Glatt
Eigenwilligkeit und Vitalität - das sind treffende Kennworte für
den Maler Karl Glatt. Wo hat er begonnen - wohin hat ihn die über 50
Jahre währende intensive künstlerische Arbeit geführt?
Er trat nach der Ausbildungszeit in den Kunstklassen der Allgemeinen Gewerbeschule
(mit dieser zurückhaltenden Schulbezeichnung beschied sich bis vor wenigen
Jahren die seit dem 19. Jahrhundert vorzüglichen Ruf geniessende Kunstschule
in Basel) und nach Ausbildungsjahren an der Akademie der Bildenden Künste
in Wien sehr rasch als überzeugende, selbständige Künstlerpersönlichkeit
hervor. Anfänglich fand Glatt, wie andere Kollegen seiner Generation,
den Weg zu einer sensiblen Grautonigkeit, in der die Heftigkeit postexpressionistischer
Buntheit feinabgestimmten Grauwerten und Hell/Dunkelkontrasten weicht. Die
Farbe wurde oft wie fliessend, oft mit nervösem Pinselstrich aufgetragen
und zum Gewebe einer Malfläche verdichtet, in dem doch immer wieder Rhythmus
und Temperament einer sehr kräftigen Hand spürbar wurden. Bedeutungsvoll
ist es gewiss, dass Karl Glatt als Gehilfe eines älteren Kollegen bei
der Ausführung eines grossen Freskoauftrages mitarbeitete: Als 25jähriger
wurde er so mit Wandbildtechnik konfrontiert, lernte er die Bedeutung von
Vereinfachung und Umsetzungsvorgängen kennen, wurde ihm die Klärung
eines Bildkonzeptes bewusst. Diese beiden Komponenten, sorgsame malerische
Behandlung und Umsetzung des Bildmotivs in eine grosszügige Bildform,
sind bestimmend geblieben für Karl Glatt.
Er hat sie als Gestaltungsprinzipien systematisch entwickelt und später
in vielen grossen Wandbildkompositionen einsetzen können. Auch aus den
Staffeleibildern spricht die Befähigung zur Bewältigung grosser
Formate.
Die intensive Hingabe an ein Werk, die sich bei grösseren Kompositionen
in der Suche nach gültiger Aussage über Jahre erstrecken kann, zu
Ketten von Versionen eines Motivs führt, bringt es mit sich, dass Jahreszahlen
für Glatt keine Rolle spielen: er datiert seine Werke nicht. Die eigene
Entwicklung scheint ihn nicht zu interessieren. Aber selbstverständlich
lässt sie sich aus der Übersicht über einen grösseren
Werkkomplex ablesen. Sie folgt der Notwendigkeit eigener Einsichten, sie festigt
sich und wird reicher im Ausmessen verschiedener Möglichkeiten. Sie weist
die Auseinadersetzung mit zeitgenössischen Meistern auf: "...nur
der kleine Geist schämt sich für sein Eingehenauf Einflüsse,
der andere freut sich, dass er sie nutzen kann...", äusserte Glatt
vor einigen Jahren in einem interview. Bei ihm sind Beckmann, Picasso, die
verschiedenen Bewegungen der Nachkriegszeit präsent - aber auch Manet,
Courbet... Entscheidend bleibt, wieviel Eigenständigkeit vorhanden ist.
Glatt ist durch seine eigene Persönlicjkeit geführt worden.
Er strebte seit je auf ein Gleichgewicht zwischen architektonischer Bildordnung
und malerischer Freiheit im Umgang mit Farbe zu. Tritt, gegen die Fünfzigerjahre,
die Farbe mit vollem Klang und bestimmender in der Fläche aus der Graumalerei
hervor, dann setzt sie sich vorerst als Lokalfarbe eines gegenständlichen
Komplexes fest: im roten Vorhang hinter dem kranken Kind, im blauen Mantel
der Frau, in der grünen Schreibunterlage des Museumsdirektors am Arbeitspult.
Aber dann bilden sich Farbflächensysteme, die mit der Gegenstandsform
nicht mehr identisch sind. Das Gefüge der Farbflächen überlagert
das zeichnerische Bildgerüst - beide werden gleich streng und straff
organisiert. Im Bildnis Professor Nissen von 1955 tritt das am schärfsten
hervor. Und in den Juralandschaften der Freiberge und des Doubstals, denen
Glatt seit 1943 treu geblieben ist - entwickelt sich langsam und stetig eine
flächenhafte Behandlung der Elemente, aus denen die Bildkomposition gebaut
wird. Die Farbe wird nach ihrem Gewicht eingesetzt, entscheidende Komplexe
durch klare Konturen gefasst. Der Aspekt der breitgelagerten Jurahäuser,
deren Traufen den Kubus kaum überragen, deren weissgekalkte Mauerflächen
nur sparsam von kleinen Fenstervierecken durchbrochen werden, die Giebeldreiecke,
die sich in der Verkürzung als Rhomben darbietenden Dachschrägen
- das alles fördert vom Motiv her die geometrische Bildordnung, die den
Bau der Komposition gerüsthaft trägt. Auch vegetabile und atmosphärische
Elemente wie Bäume und Wolken werden zu farbkörpern mit festen Umrissen.
Innerhalb dieser Farbkörper und -felder allerdings geht der Maler differenzierend,
seine Malmaterie modellierend vor - keinesfalls ergeben sich plan ausgestrichene
Zellen. Es wird überhaupt auch in Bezug auf die Gesamtkomposition ein
Gleichgewicht zwischen pastoser Farbelastizität und flächiger, geometrischer
Komposition gesucht: ein lila Hausschatten fällt weich und perlmuttrig
abgetönt ins Ocker der kalkhellen Strasse oder eine braune Holzwand glüht
durch unterlegte Rot, die in Spuren funkelnd hervortreten können. Die
ganz strenge Trennung in zwei sich überlagernde, zwar sich ergänzende
aber mit der Gegenstandsform nicht zusammenfallende Ausdrucksysteme, der Farbkomposition
und der zeichnerisch definierten Struktur, hat Glatt nie bis zum Letzten vollzogen.
Verabsolutierungen in der Wahl bildnerischer Mittel liegen ihm nicht. Er wahrt
sich die Freiheit bei aller Gebundenheit. Und so hat sich die strenge geometrische
Struktur besonders in den späten Vielfigurenkompositionen gelockert.
In den "Ateliers", in den Versionen von "Das Paar", im
Doppelbildnis der Eltern sind formabläufe entwickelt worden, in denen
sich freie Elemente zu organisch gewachsenen Organismen fügen.
Es wechseln immer wieder Perioden sehr straffer Bildgestaltung mit solchen
malerisch - expressiver Behandlung. Die Phasen der Klärung, der reduktion
und Verstrengerung im Gestalten sind diesem Temperament notwendig. Auch das
Experimentieren mit neuen Möglichkeiten. In den 70er Jahren fühlt
Glatt sich fasziniert durch das Einbauen von strengen Signetformeln in seine
Körper- und Gegenstandswelt. In grossen, dekorativen Buchstaben nehmen
die Bildthemen als monumentale Kennwörter Einsitz ins Blickfeld. "PIC
NIC" steht eingefügt in die zeitgenössische Paraphrase von
Manet's "Déjeuner sur l'herbe". "JOUIR" und "LOISIR"
treten als Buchstabengefüge, Bildthema und formale Elemente an sich auf.
Aber bald verschwinden die geometrischen Bausteine der kräftigen Kapitalschriften
wieder - es war ein nicht ohne Humor durchgeführter Versuch, die doppelte
Bildaussage über das Vehikel von Schrift- und Gegenstandserscheinung
zu kombinieren.
Hier mag sich die Frage aufdrängen: warum hat dieser Künstler die
Gegenstandswelt bei allem Umsetzungsbedürfnis doch immer als für
seine Bildaussage prägend beibehalten? Er geht ja sehr frei mit der "Wirklichkeit"
um. Er arbeitet vor der Natur, dem Modell, dem Stilleben. Aber die Bildversion
entsteht in Distanz zur Naturstudie. Banal gesagt: Glatt malt im Atelier zur
Sommerzeit Schneelandschaften und im Winter Sommerlandschaften. Das Motiv
wird verändert, intensiviert in Farb- und Formwirkung.
Mit expressiver Spontanmalweise hat das gar nichts zu tun. Der Läuterungsvorgang
wird bestimmend: Klärung, Steigerung und Verfestigung des Motivs. Und
dennoch keine Preisgabe des Gegenstands! Auch der Malprozess an sich wird
für Glatt nicht zum Brennpunkt - darin liegt der grundsätzliche
Unterschied zur Zuwendung der heutigen Jungen zur Malerei. Ein Glatt will
weder den Aussagegehalt eines Motivs verabsolutieren, noch es negieren. Er
setzt handwerkliche Erfahrung, sinnliche Beziehung und die Befähigung
zu freiem Umgang mit darstellerischen Mitteln, mit Malmaterie, graphischen
Techniken und Glasbildern voraus.
Bei ihm muss das Motiv den inneren Bildgehalt, das Thema zur Aussage bringen.
Uns seine Thematik bleibt verwurzelt in menschlichen Erfahrungen. Können
wohl Glatts Bildnisse den Schlüssel zu seiner Beziehung zur Gegenständlichkeit
bieten? Fast alle Porträts von Karl Glatt sind nach ihm nahestehenden
Menschen gemalt. Familie, Kinder, Freunde - es muss eine innere Beziehung,
gegründet auf gemeinsamer Erlebnisbasis da sein. Das ist mehr als nur
"menschliches Interesse" am Modell. Es muss eine naturhafte, gewachsene
Verbindung da sein, die den Dialog zwischen Künstler und Gegenstand erlaubt.
Dasselbe gilt für die Wahl der Landschaftsmotive. Die Milde der Rheinebene,
indie die Schüler der Basler Malklasse mit ihrem Lehrer während
der Ausbildungsjahre zogen und die bedeutende Maler auch nach langen Auslandsaufenthalten
immer wieder anzog, sagte Glatt nichts. Seine Landschaft fand er im herben
Jura. Von Kind auf hatte er viele Ferienzeiten auf den Bauernhöfen seiner
Verwandten im Jura verbracht und eine unsentimentale, tiefe Verbindung zur
Natur entwickelt. Seit Jahrzehnten ist es nun der Jura der französisch
sprechenden Schweiz mit den langgestreckten Höhenzügen, den Kalkfelsen,
das Bauernland, in dem breitgelagerte Einzelhöfe und kärgliche Weiden
dominieren, wo er seine Welt am reinsten findet. Den Bezug zu einer Gegenständlichkeit
in diesem Sinn will Glatt nicht verlieren. Die Dimension der menschlichen
Beziehung muss sich konkret manifestieren, als Bindung wirken können.
Sie soll verschmelzen mit dem gestalterischen Willen, aber sichtbar hervortreten
in der Bildform. Sie bleibt der tragende Grund von Karl Glatts bildnerischem
Schaffen.